Audienz S.H. Chamgon Kenting Tai Situ Rinpoche 2009
Der krönenden Abschluß unserer Pilgerreise 2009 nach Indien war eine Audienz, die uns Guru Vajradhara S.H. Chamgon Kenting Tai Situ Rinpoche gewährte. Noch selbst im Retreat bescherte uns Rinpoche eine ganze Stunde Unterweisungen und Übertragung in einer der Pausen während seiner Meditations Sessions. Chöje Lama Palmo hatte für uns ein Teaching zu Zuflucht und Bodhicitta erbeten und S.H. Chamgon Kenting Tai Situ Rinpoche beschenkte uns damit.
Dies ist ein übersetztes Transkript der Übertragung von und durch S.H. Chamgon Kenting Tai Situ Rinpoche Übersetzung: © Palpung Europe
Zuflucht
Zuflucht ist der allererste, zutiefst grundlegende Schritt. Wenn man in Buddha Zuflucht nimmt, nimmt man Zuflucht in den Dharma und man nimmt Zuflucht in die Sangha. Das bedeutet, dass man der Übertragung Lord Buddhas folgen möchte. Deshalb nimmt man Zuflucht in Buddha ‚Buddha’. Und man möchte dem Dharma folgen, also der Übertragung Buddhas. Das ist die Zuflucht in den Dharma. Und man möchte den Dharma von einer Linie lernen, nicht nur man selbst, aus einem Buch, seinen eigenen Ideen folgend, sondern in der gleichen Weise, wie Buddha den Dharma einst lehrte, welcher durch die Linie für mehr als 25 Jahrhunderte weiter getragen wurde. Das möchte man von der Sangha lernen. In dieser Weise nimmt man also Zuflucht in Buddha, Dharma, Sangha.
Sangha
Natürlich weiß ich sehr gut, dass im Westen der Begriff Sangha für jeden Buddhisten angewandt wird. Jeder Buddhist wird Sangha genannt. Ich kann das verstehen, weil es so wenige Buddhisten gibt und diese wenigen Buddhisten nicht nur Studierte, nicht nur Anhänger, nicht nur Sponsoren sind; sie alle sind Praktizierende. Jeder Buddhist im Westen praktiziert Buddhismus, alle praktizieren, meditieren und beten. Deshalb kann ich nachvollziehen, warum im Westen Laien auch Sangha genannt werden.
Aber im Buddhismus, auch wenn er sehr weit verbreitet ist, und auch, wenn jedermann im ganzen Land Buddhist wäre, könnten wir nicht jedermann Sangha nennen. Wie in Tibet zum Beispiel, da haben wir jegliche Art von Menschen, die jegliche Art von Dingen im Leben tun. Nahrungsmittel produzieren, Tiere hüten, Handel treiben, ein Amt auskleiden. Sie sind nicht Sangha. Sie sind Buddhisten, aber sie sind nicht Sangha. Deshalb bedeutet es für uns, wenn wir von Sangha sprechen, drei Dinge:
Zuallererst die sehr klar und offensichtliche Sangha: die ordinierten Mönche und Nonnen. Und dann zweitens jene, die nicht so sichtbar sind, das bedeutet, nicht so einfach zu entlarven sind, das sind jene, die Bodhicitta haben. Jene, die Bodhicitta praktizieren und sich zumindest (in ihrer Entwicklung) nahe einem Bodhisattva der ersten Stufe befinden. Wir bezeichnen sie als Sangha, heilige Sangha. Und die wirklich, eigentlich heilige Sangha wäre wie Manjusri, Avalokitesvara oder Vajrapani. Es gibt acht große Bodhisattvas und darüberhinaus viele andere, die ihrem Beispiel folgen und ähnliches erreicht haben.
Der dritte Aspekt von Sangha sind die Yogis, die nichts anderes tun als zu praktizieren: die Praxis von Vinaya, die Praxis von Sutra und die Praxis von Tantra, alle drei Yanas werden also von ihnen praktiziert. Das sind Yogis wie zum Beispiel Milarepa und Marpa. Das ist der höchste Aspekt von Sangha.
Wenn wir also von Sangha sprechen und Zuflucht in Sangha nehmen, meinen wir dies. Da ich Euch dies nun in dieser Weise erklärt habe, habe ich deshalb kein Problem damit, dass im Westen jeder Buddhist Sangha genannt wird. Das ist o.k., das ist nett. Aber wenn man weiß, was Sangha tatsächlich bedeutet, dann wird es fundierter und gesünder. Ohne es zu wissen, wird Sangha zu so etwas wie einem Mitglied, einem Mitglied einer Gruppe, Mitglied einer Organisation und Sangha ist viel mehr als das.
Buddha
Wenn wir nun von Buddha sprechen, müssen wir wissen, dass wir nicht nur von Prinz Siddharta reden. Natürlich reden wir über Prinz Siddharta, da er unser Buddha ist. Aber wir sprechen nicht ausschließlich über ihn. Wir sprechen über alle Buddhas. Während der wenigen Minuten, die wir hier bereits in diesem Zimmer, genau hier verbracht haben, haben viele fühlende Wesen durch den Raum hindurch Buddhaschaft erlangt.
Alleine unsere Galaxie hat, wie wir es in Tibetisch nennen, ein „drittes Tausend“. Das bedeutet: eintausend mal eintausend mal eintausend Solarsysteme. Und diese Galaxie ist eine von unzähligen Galaxien durch den Raum hindurch, welche voll fühlender Wesen ist. Wenn man also sagt, dass in jeder Milliardsten Galaxie in jedem Milliardsten Jahrhundert auch nur ein fühlendes Wesen Buddhaschaft erlangt, also sogar, wenn man diese aussergewöhnliche Kalkulation anstellt, selbst dann würde das bedeuten, dass jede Sekunde, jeden Moment unzählige fühlende Wesen Buddha werden müssen, sogar mit dieser Art von Rechnung. Das ist die Art und Weise, wie wir über Buddha in der Gesamtheit sprechen. Und speziell, natürlich über unseren Buddha: Prinz Siddharta, Buddha Shakyamuni.
Dharma
Das macht es eigentlich ziemlich klar, was Dharma ist. Der Dharma, den wir auf Papier haben, ist viel mehr in Anzahl, als jener, für den wir Linie besitzen, weil viele unserer Bücher, viele unserer Texte keine Linie mehr haben. Wir legen sie in unseren Schrein, respektieren sie, aber wir können sie nicht studieren, wir können sie nicht praktizieren. Vielleicht können wir Untersuchungen über sie anstellen. Aber den Dharma, für den wir Linie haben, untersuchen wir nicht. Wir spekulieren nicht über ihn, sondern praktizieren ihn. Wir erhalten die Übertragungen und wir praktizieren sie. Das ist Dharma, in den wir Zuflucht nehmen, in derselben Weise wie wir in Buddha Shakyamuni Zuflucht nehmen.
Dann nehmen wir Zuflucht in den letztendlichen Buddha. In der gleichen Weise nehmen wir Zuflucht in all den Dharma. Das bedeutet: Dharma ist relative Wahrheit, die uns zur letztendlichen Wahrheit führen wird. Dharma manifestiert sich immer im Relativen, zum Beispiel kann man in einem Band eines Dharmabuches 400 oder 500 Seiten finden, und jede Seite wird einige Zeilen aufweisen. Und diese Zeilen und Bände können nicht über alles sprechen. In dieser Art und Weise ist der Dharma in schwarz und weiß limitiert. Aber indem wir den Dharma praktizieren, welchen wir durch die Linie und mit Linie haben, werden wir den tatsächlichen Dharma, den letztendlichen Dharma, der keinerlei Beschränkungen hat, verwirklichen. Das bedeutet es, Zuflucht in den Dharma zu nehmen. Und die Sangha ist, wie ich Euch erklärt habe, die Quelle der Linie.
Wir praktizieren den Dharma, um Buddhaschaft zu erreichen. Ich bin ziemlich sicher, dass viele Menschen in dieser Welt, die niemals das Wort Buddha gehört haben, keine Ahnung haben, was Buddha ist. Das ist nur allzu gerecht. Aber dann gibt es viele, die das Wort Buddha gehört haben und die eine sehr eigenartige Idee darüber haben könnten, was Buddha ist. Das ist nicht sehr richtig, aber akzeptabel. Aber wenn jene, die sich selbst Buddhisten nennen, sehr eigenartige Vorstellungen darüber haben sollten, was Buddha ist, dann ist das absolut nicht richtig. Deshalb müssen wir wissen, dass wir den Dharma praktizieren, um Buddha zu werden.
Wir sind nicht der Gnade Buddhas ausgeliefert. Wir sind nicht abhängig von Buddha. (So gesehen) sind wir unabhängig von Buddha. Wir möchten Buddhaschaft erreichen, um alle fühlenden Wesen zu Buddhaschaft zu führen. Deswegen haben wir Vertrauen und Hingabe zu Buddha und zur gleichen Zeit Mitgefühl für alle fühlenden Wesen.
Mitgefühl
Natürlich ist es leicht, Bodhicitta und Mitgefühl in einer egoistischen, egofreundlichen Art wertzuschätzen. „Du bist so arm, du bist so krank, du bist so ungebildet, du bist so unterprivilegiert, du bist so schwach und deshalb habe ich Mitgefühl für dich“. Diese Art von Mitgefühl ist sehr leicht, es ist leicht darüber zu reden und leicht, es zu entwickeln, da es dem Ego zuträglich ist. „Ich bin besser als du und deshalb kann ich dir helfen. Ich bin nicht verletzt, wohingegen du dein Bein gebrochen hast, also kann ich dich tragen. Du hast keine Nahrung, aber ich habe welche, also kann ich dir davon abgeben. Du weiß nichts, aber ich weiß alles, also kann ich dich etwas lehren“, und so weiter und so fort.
„Armes Ding, ich hab Mitleid mit dir“. Das ist gut, es ist nicht schlecht, es ist gut. Diese Art von Mitgefühl ist gut, aber nicht gut genug. Weil sie unterscheidend, unvollständig und dualistisch ist. Warum ist sie nicht gut genug? Weil diese Art von Mitgefühl uns nicht zu Buddhaschaft führen wird. Dieses Mitgefühl wird eine bessere Person aus uns machen. Durch dieses Mitgefühl werden wir, als Ergebnis unseres Karmas eine bessere Person zu sein, im nächsten Leben stärker und gesünder sein, mehr Einfluss, mehr Geld haben, wir werden hübscher aussehen und all diese Dinge. Aber dann, wohin wird all das führen? Es ist ungewiss! Weil wir einflussreicher sind, benützen wir vielleicht unseren Einfluss für falsche Zwecke. Das wäre eine Möglichkeit. Wir schauen gut aus und deshalb verbringen wir sehr viel Zeit mit dem sich darum kümmern. Und wir sind so gesund, dass wir in der Lage sind, viele Dinge zu tun, die ungesunde Menschen nicht tun können. So können die Dinge, die wir tun könnten, gut oder nicht so gut sein. Es gibt dafür keine Garantie.
Bodhisattva Mitgefühl
Wenn Mitgefühl Bodhisattva Mitgefühl ist, was bedeutet: „Ich möchte Buddhaschaft erlangen zum Nutzen für alle fühlenden Wesen, damit auch sie Buddhaschaft erlangen mögen“, dann ist das das wahres Bodhisattva Mitgefühl: alle fühlenden Wesen vom Leiden von Samsara zu befreien. Warum ist das so wichtig? Ob man jetzt Westler oder nicht ist, macht da keinen Unterschied.
West und Ost
Manchmal gibt es diese ziemlich dumme und lächerliche Frage, die Menschen fragen: „ist Buddhismus für Westler in derselben Weise relevant wie für Menschen aus dem Osten?“ Was soll das bedeuten? Wenn ich nach Westen gehe, werde ich im Osten ankommen. Wo ist nun der Westen, wo ist nun der Osten? Man sollte also sehr eingehend darüber nachdenken, bevor man Dinge sagt.
Und man spricht auch von orientalisch und okzidentalisch. Was soll das bedeuten? Orientalisch ist okzidentalisch für die Okzidentalen und okzidentalisch ist orientalisch für die Orientalen. Da steckt überhaupt keinerlei Bedeutung dahinter. Es sind lediglich Worte, die von Menschen geschaffen wurden.
Buddhismus ist so lange relevant, solange man nicht leiden möchte, solange man glücklich sein möchte. Es ist dieses Potential, dass jedermann glücklich und frei sein möchte. Und niemand möchte leiden und auch begrenzt sein. In dieser Weise ist Buddhaschaft die grenzenlose Freiheit und Befreiung, die keinerlei Limitierung hat und nicht im Geringsten dualistisch behaftet und befleckt ist. Das ist Buddhaschaft. Und bis wir das erreicht haben werden, wird unsere Glückseligkeit, unsere Freude, unsere Art von Wohlgefallen immer mit einem Preisschild versehen sein.
Jeder Aspekt von Glück, Glückseligkeit und Freude, der mit Ego, Ich, Anhaftung, Eifersucht, Stolz und Unwissenheit in Verbindung steht, wird, je mehr ich davon habe, wenn ich ihn verliere, mir mehr Leiden einbringen. In dieser Art und Weise sollten wir zugleich wissen, dass die relative, dualistische Freiheit, Glückseligkeit und Freude, die wir suchen, die wir suchen werden, in Wahrheit gar nichts bedeutet.
Denn sobald wir sie haben, können wir sie nur verlieren. Sie ist vergänglich. Schauen wir auf die Weltkarte. Wenige Millionen Jahre zuvor war die ganze Erde, das Land dieses Planeten miteinander verbunden und ein großer Brocken. Und dann bewegte er sich langsam, langsam, mit einer Geschwindigkeit, die in etwa der Geschwindigkeit des Wachstums unseres Haares entspricht. Mit dieser Geschwindigkeit also bewegte er sich von einem zum anderen und entwickelte eine ganz andere Form nach einigen Millionen Jahren. Und glaubt es, oder nicht: da, wo wir jetzt gerade sind, war nahe bei Afrika wenige Millionen Jahre zuvor. Und jetzt ist es hier. Und es bewegt sich nordwärts mit der Geschwindigkeit unsers Haarwachstums und nach vielen Millionen Jahren wird all das Land des Planeten Erde wieder ein großer Brocken sein. Alles miteinander verbunden. Und all das Meer wird an einem Platz sein und all das Land an einem anderen Platz. Es war wie dies und es wird wieder wie dies werden. Jetzt gerade ist es hübsch ausgedehnt in Kontinente.
Sogar in der relativen Welt, der relativen der relativen der relativen, sogar, wenn man diese anschaut, ist alles vergänglich. Es ist also alles außer Erleuchtung vergänglich, alles ist relativ. Egal, ob man nur orientalisch oder okzidentalisch, Westler, Nordler, Südler, Ostler oder Mittler oder was auch immer ist. Eigentlich solltet Ihr ein wenig den Verlauf der Sonne studieren. Dann werdet Ihr wissen, was Osten und Westen ist.
Wenn man also weiß, was Norden und was Süden ist, dann ist dies verständlich. Denn Norden und Süden sind mehr herausstechend als Osten und Westen. Wenn man zum Beispiel auf den Nordpol geht, sieht man nichts anderes als den Süden, aber wenn man auf den Südpol geht, sieht man nichts anderes als den Norden, so sind diese distinktiver. Osten und Westen hingegen sind komplett künstlich, man muss nur dem Sonnenverlauf folgen. Außer, man glaubt, dass all die Sonnen von gestern dort drüben aufgehäuft sind im Westen und all die Sonnen von morgen im Osten aufgehäuft sind und nur darauf warten, so wie Wetterballone in den Himmel entlassen zu werden. Wenn man also an Dinge wie diese glaubt, das ist eine ganz andere Geschichte. Aber ich glaube nicht, dass ihr so dumm seid.
Universelle Wahrheit
Wie auch immer, mit gebührendem Respekt: ich denke Dharma ist universelle Wahrheit und Buddhismus repräsentiert den Dharma in einer zu höchst herausragenden, vollständigen Art und Weise. Nicht, weil er besser als alles andere ist, nicht weil er schlechter als alles andere ist, sondern, weil er seine lebendige Linie erhalten hat.
Obwohl wir viel der Linie von Lord Buddhas Übertragung verloren haben, ist das, was übrig ist hier im 21. Jahrhundert nach 2500 Jahren, noch immer mehr als genug reiner Dharma mit reiner, intakter Linie. Indem wir ihn also praktizieren, kann jeder einzelne von uns Buddhaschaft erlangen und jeder einzelne von uns kann jedes einzelne fühlende Wesen im gesamten Universum und darüber hinaus befreien. Deshalb ist Bodhicitta so unheimlich wichtig und ein absolutes Muss als Vajrayana Buddhist.
Denn wenn wir Buddhaschaft ohne Bodhicitta erlangen wollen, wird dies niemals passieren. Wie kann man Buddhaschaft mittels Unfall erreichen, wie kann man Buddhaschaft erlangen, ohne überhaupt eine Ahnung davon zu haben, wie kann man sie erlangen, wenn man sie überhaupt nicht erreichen möchte und wie kann man Buddhaschaft erreichen, wenn sie nicht für alle fühlenden Wesen ist? Wie kann man Buddhaschaft erlangen, wenn sie nicht für die Buddhaschaft für alle fühlenden Wesen ist? Deshalb ist Bodhicitta absolut essentiell. Damit glaube ich, habe ich Euch die wichtigsten wahrhaftigen Stufen im Buddhismus, im Vajrayana Buddhismus erklärt: Zuflucht und Bodhicitta.
Hingabe, Vertrauen und Mitgefühl
Schauen wir jetzt auf eine andere sehr wichtige Praxis: die Praxis von Hingabe und Mitgefühl. Wenn man viel Hingabe und kein Mitgefühl verspürt, fühlt man sich wie das zutiefst geringwertige Wesen im ganzen Universum. Man ist da unten und schaut nur hinauf in den Himmel mit gefalteten Händen und man fleht und fleht und fleht. Das ist in Ordnung, weil es gut gegen unser Ego ist. Aber es funktioniert nicht so, weil wenn jemand da oben wie Buddha uns Erleuchtung geben könnte, dann hätte uns Buddha diese schon vor langer, langer Zeit gegeben. Deshalb werden schreien und flehen, kriechen und weinen, all das wird nichts helfen.
Zur gleichen Zeit aber, wenn man Mitgefühl, aber keine Hingabe hat, wie werden wir dann erscheinen? Wir werden als eine egoistische Person erscheinen, die glaubt, besser zu sein als jeder andere. Dass alle anderen nichts wissen, aber auch wirklich nichts, während wir, wir wissen alles und deshalb können wir jedermann helfen. Also sind wir besser als jedermann. Das hört sich fürchterlich an für mich!
In dieser Weise müssen Hingabe und Mitgefühl ausgeglichen sein. Wahrhafte Hingabe und Mitgefühl werden uns zurechtrücken. Zumindest belügt man sich dann nicht selbst, sondern weiß, wo man steht, wo man hingehört und wer man ist. Derart, wenn also jemand weniger Hingabe oder weniger Mitgefühl als man selbst hat, dann hat man für diese Person Mitgefühl. Für jemanden, der mehr Hingabe hat, mehr Mitgefühl als man selbst, für jenen hat man Hingabe.
Die beiden stagnieren nicht. Durch unsere Praxis bewegen wir uns aufwärts mit unserer Bandbreite von Mitgefühl und Hingabe. Die Definition von Hingabe und Mitgefühl wird eine profundere Bedeutung erhalten und fortschreiten und sich mit einer sich entwickelnden Praxis vertiefen.
Praxis
Jetzt zur Praxis: es gibt physische, mündliche und geistige Praxis. Und die Leute fragen „was ist nun wichtiger für Meditation? Ist Körper, oder Rede oder Herz und Geist wichtiger? Bevorzugt man eher ein gutes Herz und Geist oder ein fürchterliches Herz, gute Rede und guten Körper, was würdet Ihr bevorzugen?“ Unser Körper hält nicht länger als 100 Jahre an. Tatsächlich wird er in 100 Jahren nicht mehr gut sein. Und Sprache, ich weiß nicht, denn sogar ich sage manchmal eigenartige Dinge. Ich spreche von meinem Alter; denn in meinem Alter sage ich manchmal Dinge, die nicht selbsterklärend sind, das, was ich meine, nicht selbst erklären. Wenn man also 100 Jahre alt ist, also ich weiß wirklich nicht, was man sagen wird, wisst Ihr? Man sagt vielleicht eines und meint ein anderes. Mit gebührendem Respekt gegenüber den älteren Menschen – ich werde sehr bald einer von ihnen sein! Wie auch immer, das Herz, unser Geist ist das wichtigste. Es ist unser Geist, der von der Vergangenheit in die Gegenwart kam und sich von der Gegenwart in die Zukunft bewegen wird. Nicht der Körper. Der Körper wird sich in die fünf Elemente auflösen: Wasser in Wasser, Luft in Luft, Erde in Erde, Feuer in Feuer, Raum in Raum. Und die Sprache ist damit dann weg, denn ohne Körper kann man nicht sprechen, wie Ihr wisst. Denn man benötigt Lungen, einen Hals, Lippen und eine Zunge, um zu sprechen, denn sonst kann man nicht sprechen. In dieser Art und Weise ist Geist am wichtigsten.
Und Meditation bedeutet, dass man Anstrengungen unternimmt, körperliche, mündliche und geistige Anstrengungen, damit unser Geist, unser Herz seine ursprüngliche Essenz, die wir Buddha Natur oder ursprüngliche Weisheit nennen, manifestieren kann. Man erlaubt ihr, sich durch Meditation zu manifestieren. Wir haben hunderte und hunderte von Meditationsmethoden und alle diese Methoden basieren auf einer Grundlage: ruhig, still, stabil und friedsam zu sein. Wenn man nicht friedlich ist, wer kann uns dann friedlich machen? Sogar, wenn uns jemand zusammenbindet, ankettet und große Steine auf uns legt, wird uns das nicht friedlich machen. Das heißt, dass es keinen Weg für uns gibt, friedlich zu sein, bis unser Geist friedlich ist. Unser Geist kann niemals in Frieden verweilen, bis unser Geist nicht in der Lage dazu ist, zu rasten. Und das ist die Grundlage von Meditation.
Auf Grundlage dessen können sich alle Aspekte von Meditation manifestieren. Und durch all die Methoden der Linie wird man fortschreiten. Und wir meditieren, damit wir in der Zukunft nicht mehr meditieren müssen. Wir meditieren nicht, um der beste Meditierende zu werden. Glücklicherweise gibt es keine Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen für Meditierende. Wir meditieren nicht für Medaillen. Wir meditieren nicht, um Meditationsexperten zu werden. Wir meditieren, damit wir nicht mehr meditieren müssen. Alles wird vollkommen, sodass wir nicht mehr meditieren müssen. Das ist Buddhaschaft. Damit glaube ich, habe ich die wichtigsten Punkte der Dharma Praxis abgedeckt.
Verbreitung des Dharma
Ich bin davon überzeugt, dass wir den Dharma nicht missionieren sollten. Wir sollten nicht versuchen, Dharma vorsätzlich zu verbreiten, wir sollten nicht versuchen, Menschen in den Buddhismus zu drängen. Nicht mit Karotten, nicht mit Stöcken. Wir müssen sie in Ruhe lassen. Aber wenn jemand durch sein Karma, durch sein persönliches Verstehen, also, wenn sein Karma reift und die Person gerne Buddhist werden möchte und den Unterweisungen Lord Buddhas folgen möchte, sollten wir sie dieser großen Ehre nicht berauben. Wir sollten ihnen dieses großartige Geschenk, das wir ihnen machen können, nicht vorenthalten. Wir sollten also jedermann, Angehörigen jeglicher Ideologie, Zugehörigkeit, einfach jedem, der Buddhist sein möchte, dienen. Aber wir sollten nicht an die Türen der Leute klopfen und den Menschen sagen „Sie sollten Buddhist sein, anderenfalls wird dieses oder jenes Ihnen zustoßen“. Dies tun wir nicht. Wir benützen nicht irgendeine Art von Abschreckungstaktiken, wir geben ihnen auch keinerlei Anreiz. „Wenn Sie Buddhist werden, werden Sie gute Geschäfte machen, vermögend werden und in der Lotterie gewinnen“, keine dieser Dinge. Aber wenn tatsächlich ein aufrichtiger Wunsch besteht, Buddhist zu werden: sehr gut.
Wenn man Buddhist wird, bedeutet das nicht, dass man sich gegen seine eigene Kultur, Religion oder Ideologie, der man von Geburt an angehört, wenden soll oder muss. Es bedeutet nicht, dass man sich dagegen stellen muss. Wir sind das Beispiel, wir Tibeter sind das Beispiel dafür. Wir haben unsere eigene Kultur, unsere eigene Religion, unsere eigene Ideologie. Der Buddhismus erreichte Tibet vor ca. 1500 Jahren, aber es gab uns dort schon länger als 1500 Jahre. Wir haben also unsere eigenen Dinge. Und unsere eigenen Dinge, die wir vor dem Buddhismus hatten, wurden durch die Übertragung Buddhas gesegnet. So wurde das, das wir schon hatten, tiefer und tiefgründiger. Wie ein Schneeberg, der mit sehr wenig Schnee bedeckt ist und nach einem guten Schneefall höher und heller wird und sogar zu einem Gletscher werden kann. Genauso ist sie. Die Übertragung Buddhas sollte die Kultur, die Ideologie, Religion, die man bereits hat, bereichern.
Wenn man also sehr buddhistisch ist, bedeutet das, dass man Weihnachten nicht mehr feiern sollte? Natürlich nicht. Ihr solltet Weihnachten ganz groß feiern, in Ordnung? Und wenn man Buddhist wird, sollte man dann nicht mehr Ostern feiern? Absolut nicht. Ihr solltet Ostern ganz groß feiern. Ja, mit Hingabe, mit Mitgefühl, mit Bodhicitta, mit Zuflucht. So feiert ihr.
Ich wünsche Euch das Allerbeste