Scheu erblühend
Der Guru ist einfach alles. Er ist das unschätzbare Juwel, das wir neurotisch suchen, der Jackpot, nach dem wir unerlässlich graben, die Erfüllung unserer Herzenswünsche und die Vollständigkeit all unserer tiefesten Sehnsucht.
Als ich mit der Krebsbehandlung begann, wußte ich nicht recht, womit ich zu rechnen hatte. Niemand bereitet uns darauf vor, was bald unsere Realität würde. Die OP mit all ihren Komplikationen war im Vergleich dazu gar nichts. Während ich mich während der letzten 20 Jahre wie ein Zombie gefühlt hatte, mutierte ich nun zu einem Geist.
Wenn wir an Chemo denken, dann bringen wir es damit in Verbindung, an eine Art Tropf angehängt zu sein und auf einer Art Sessel stundenlang zu sitzen, wir erwarten Übelkeit, Haarausfall und Müdigkeit. Die Wahrheit ist wirklich ganz anders. Nur, um überhaupt an den Tropf angehängt zu werden, erhält man als Vorbereitung fünf verschiedene Injektionen durch die Vorrichtung, die in die stärkste Vene des Systems implantiert wurde, die natürlich nicht problemfrei sind. Mit jedem einzelnen Tropfen des Gifts, das in das eigene System eintritt, fühlt man, wie die eigene Lebensessenz verblasst, man fühlt sich minütlich schwächer, standardmäßig blasser, mit dunklen Ringen, die unter den Augen auftauchen, man erstarrt in eine Taubheit und ist schließlich unfähig dazu, sich aus diesem verhängnisvollen Stuhl selbständig zu erheben mit Augen, die nur noch wenig Leben zeigen.
Niemand sagt einem, dass das gesamte Nervensystem dabei mehr oder weniger abgetötet wird, Muskeln schlimm beschädigt, Hände und Füsse nicht nur vollständig taub, sondern wie ein Stück gefrorenen Holzes in Verbindung mit dem Gefühl einer sich annähernden Explosion sind. Gehen ist unmöglich, alle Bewegungen sind wie die eines Parkinsons Patienten, Nerven sind multineuropathisch beschädigt und wenn überhaupt, wird es einige Jahre dauern, ein neues Nervensystem auszubilden. Man kann nicht sprechen, maximal völlig undeutlich, die Körperordination ist verschwunden, Essen und Trinken ist wie der ätzendste Essig im Mund und man benötigt für die grundlegendsten Dinge, wie zu duschen und sich zu bekleiden, Hilfe. Organe sind am Rande der Aufgabe – Nieren, Lungen und Herz verweigern einfach ihre Arbeit, ein Magen, der derart zerstört ist, dass, nur ein paar wenige Schlucke zu trinken, die wildesten Krämpfe auslöst, nicht davon zu sprechen, Nahrung herunterzubringen; die eigenen Zähne versuchen, aus dem Mund herauszuspringen, nur, um all dem Gift zu entkommen, alle Sinne sind dem Erdboden gleichgemacht, alle Schleimhäurte im Körper mehr oder weniger zerstört, Thrombosen, Emboli und so viel mehr. Kurzum, der Körper ist jenseits des Erkennens zerstört. Schmerzen machen mir nicht all zu viel aus. Nach der OP hörte ich mit den Schmerzmitteln, sowohl den epiduralen als auch Infusionen, nach drei Tagen auf und entschloß mich dazu, diverse Untersuchungen sehr zum Schock meiner Ärzte ohne Sedierung zu begehen, weil ein klarer Geist immer meine erste Option ist. Dies aber war vollständig anders. Die Chemo Infusionen und 30 täglichen Pillen, von denen ein Drittel Chemo Tabletten waren, der Rest Pillen, um die schwerwiegendsten Nebeneffekte in Schach zu halten, hinterließen definitiv ihre Spuren. Derart Vorfälle öffnen uns die Augen für die zerbröckelnde Unrichtigkeit mehrschichtiger Szenarien in die knackige Leichtigkeit immanentes Seins. Unsere menschlichen Körper sind so derart fragil! Vergänglichkeit von ihrer besten Seite.
Um es zusammenzufassen, war der Beginn chaotisch, und mit jedem neuen Problem – und ich musste fast alle paar Tage wieder ins Spital für neue Komplikationen – ist man unsicher, ob es normale Begleiterscheinungen sind, oder etwas, dessen man sich annehmen muss, weil es das Potential birgt, sich in eine Tragödie zu entwickeln. Mein Krebs ist im Stadium 4, sehr aggressiv und mit einer Wiederkehr ist zu rechnen. Der letzte Scan war in Ordnung, in Zukunft werde ich engmaschig überwacht und muss jede Menge Tests regelmäßig durchlaufen. Ohne den Dharma allerdings denke ich, dass es gut möglich gewesen wäre, dass ich ziemlich gelitten hätte, wie es die meisten anderen unserer “Leichen” während der Behandlung tun. Während der Infusionen hörte ich Leute, die sich Esoterik Selbstbestätigungsbänder anhörten, während sie mit ihren schlimmsten Ängsten zu kämpfen hatten, andere weinten oder schrien vor Schmerzen und so viel mehr. Man “schläft” 80% des Tages, wenn man es überhaupt Schlaf nennen kann. Der Tag war mehr ein niemals endender Zyklus von 1-2 Stunden Dösen durch den 24 Stunden Tag hindurch. Während dieser Zeit, da ich manchen die Baustelle für eine kurze Zeit übergab und sie fast unwiderherstellbaren Schaden bewerkstelligten, musste ich mich wieder selbst um alles kümmern, verhandelte mit Firmen, der Bank, bestellte Material, gab Instruktionen auf der Baustelle unseres Klausurinstituts und mehr anstatt sich einfach auszuruhen, was sich als schwierig herausstellt, wenn die eigene Stimme so schwach ist, dass man sie fast nicht hören kann und man ein Gehirn hat, das so derart unter Drogen steht, dass es schwer ist, die Augen offen zu halten, nicht zu erwähnen, klar und linear zu denken.
Während dieser Zeit war alles, was ich tat, mich am grenzenlosen Herz meines Gurus festzuhalten. Er rief mich so of an und hob die Schwere der Ungewissheit in die Leichtigkeit des Herzens eines kleinen Kindes an: Buddha selbst, der sich um jemanden, so derart Minderen wie mich kümmert ist eine Erfahrung, für die ich keine Worte habe, sie zu beschreiben. In den erhabenen Dharma eingebettet zu sein und von unserem glorreichen Guru festgehalten zu sein ist der Jackpot, den alle anderen so verzweifelt suchen, ohne jemals überhaupt zu wissen, dass sie das tun.
Der Guru ist einfach alles. Ein authentischer Guru ist das größte Wunder, das Existenz für uns bereithält. Im Besonderen dieser Tage, da so viel Schwindel und so viele schädliche Unterfangen uns umgeben, die unsichere Suchende in ihren persönlichen Abgrund verführen, der so schwer auszuloten ist. Ich glaube ganz stark an Karma und die einfache Wahrheit ist: Jedermann schwimmt in seinem eigenen Pool desselben. In aller Ernsthaftigkeit, ist alles, das wir tun können, eine helfende Hand anzubieten. Und ich liebe es, zu helfen. Eines meiner schlimmsten Szenarien ist, ein Leben zu verschwenden und dabei völlig nutzlos für andere zu sein. Trotzdem liegt es immer noch an jedem einzelnen, ob er oder sie diese Hand ergreift, oder sich weiter tiefer in eine unziemliche Zukunft eingräbt. Noch nicht einmal Buddha kann uns befreien. Wir selbst müssen durch den Vorgang der Bereinigung durchgehen, um ursprüngliche, unberührte Wahrnehmung in uns bloßzulegen.
Obwohl alles, woran ich Tag und Nacht denken konnte, unser Kostbare Guru ist, so bekenne ich vor der Sonne meines Lebens, dass mir die inhärente Liebe immer wieder durch meine Hände glitt, so oft, dass ich es noch nicht einmal in Zahlen festhalten kann und weder ich in der Lage bin, mir selbst Nutzen zu bringen, geschweige denn anderen.
Unser Höchster Guru Vajradhara ist des Universums Krönung. Seine Güte übertrifft alle Sehnsucht. Er ist das niemals verschwindende Licht, das uns aus der Geschäftigkeit aller Neurosen errettet, der duftende Glanz der Wahrheit, die alle Tragik durchdringt, die einzig gültige Zuflucht in diesem Sturm aller Nichtsesshaftigkeit. Alles, um das ich mich kümmere und wofür ich seit mehr als der Hälfte meines Lebens lebe.
Möge Vergänglichkeit, Karma, Ursache und Resultat, unser kostbare menschliche Körper und Samsara zu einer lebendigen Wahrheit werden und unser Glorrreiche Guru unfehlbar lang leben mit der Gesundheit eines unbesiegbaren Jugendlichen. Mögen es uns immer erlaubt sein, zu seinen heiligen Füssen zu verweilen und des geringsten Dienstes fähig sein, seine Liebe in alle Atome jeglicher Existenz zu verteilen.
Mit Gebeten,
Chöje Lama Palmo
P.S. Ich hatte eigentlich gehofft, mich ganz kurz über Zoom bei Ihnen allen zu melden, muss mir aber eingestehen, dass das für einige Zeit nicht möglich sein wird. Schon ein einzelner Telefonanruf erschöpft mich derart, dass ich danach für lange Zeit im Bett verbringe. Deshalb: Bitte praktizieren Sie bitte alle gemäß den Instruktionen, die Sie von Ihren Lehrern bekamen und selbst wenn Sie diese Routine bisher nicht täglich aufrechterhielten, so ist es nie zu spät, damit zu beginnen und die Reise zum Herzen, zum Mittelpunkt alles Seins, anzutreten. Sie sind in meinen Gebeten – bis wir einander wiedersehen, Ihnen alles Gute.
Photos, von oben nach unten:
Guru Vajradhara während der Neujahres Festivitäten
Guru Vajradhara während einer Online Übertragung
Guru Vajradhara lehrt im Nonnenkloster Palpung Yeshe Rabgye Ling
Guru Vajradhara akzeptiert Lamalas Darbringung von Körper, Rede, Geist und Aktivitäten während der Mahamudra Übertragung in Delhi
Guru Vajradhara in Assisi während Friedensaktivitäten, mit Lamala